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Am Puls der Zeit
Installative Arbeiten von Johann Schrallhammer
Es gibt Uhrenträger und solche, die es ablehnen, die offizielle Uhrzeit in Form einer Armbanduhr ständig am eigenen Körper bei sich zu haben. Für letztere sind nicht selten Kirchturmuhren und Bahnhofsuhren wichtige Orientierungsmarken, um sich über die Zeit zu informieren. Sowohl Uhrenträger als auch uhrlose Lindauer waren jedoch gleichermaßen verwundert, als ihnen im Februar 2006 der Künstler Johann Schrallhammer den Blick auf die Zeit im wahrsten Sinne vernebelte.
In einer zeitlich begrenzten Aktion führte Johann Schrallhammer mittels mobilen Hochdruckflaschen ein Gasgemisch durch ein kleines Loch in eine Bahnhofsuhr ein und den Überdruck durch ein zweites wieder ab, so dass der entstehende Rauch den Reisenden ihren gewohnten Blick auf die Bahnhofsuhr versperrte und damit den elektronischen Organisator unseres Lebens für zwei Tage lahm legte.
Mit diesem skulpturalen Eingriff machte Schrallhammer in gewisser Weise das rückgängig, was im 14. Jahrhundert seinen Anfang nahm. Damals installierte man in ganz Europa Öffentliche Uhren und löste ein für allemal „die Zeit der Kirche“ durch „die Zeit der Kaufleute“ (Jacques LeGoff) ab. Mit der Erfindung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert wurde diese einheitlich-verbindliche „richtige“ Zeit flächendeckend in der Landschaft verteilt. „Die Uhr, nicht die Dampfmaschine, ist der Schlüssel zur modernen, industriellen Welt“, schrieb der Kulturwissenschaftler Lewis Mumford Anfang des 20. Jahrhunderts. Unaufhaltsam hat das menschengeschaffene rationelle Instrument seither zu einer Beschleunigung der persönlichen Lebenszeit geführt („time is money“). Indem Schrallhammer die öffentliche Bahnhofsuhr für kurze Zeit außer Kraft setzte, wurden die Passanten auf ihr eigenes subjektives Zeitgefühl, d.h. auf ihren Körper und damit auf ihren Biorythmus zurückgeworfen und angeregt, sich wieder auf eine natürliche, eigenbestimmte und damit möglicherweise auch „erfülltere“ Zeit zu besinnen.
Die unbetitelte Lindauer Aktion ist nicht die einzige ästhetische `Zeit-Kritik´ des in Garmisch-Patenkirchen lebenden Künstlers. Der Autodidakt, dessen künstlerisches Schaffen in den 1990er Jahren mit minimalistischen Eisen- und Drahtobjekten begann, hat seinen Ansatz in den letzten Jahren ins Konzeptuelle hinein erweitert. Auf originelle Art und Weise nehmen seine skulpturalen Eingriffe und Performances Bezug auf die regionalen Symbole und Bräuche des katholisch geprägten Lebensumfeldes des Künstlers und nicht selten spielen dabei, wie bei der Ingenieurskunst von jüngeren Künstlern wie Michael Sailstorfer, Michael Beutler oder Julius Popp, auch naturwissenschaftliche Techniken und Geräte eine große Rolle.
Hochtechnisch mutete auch eine andere Installation an, die Schrallhammer im Januar 2006 in einer frühgotischen Kirche in Garmisch-Patenkirchen realisierte. Zwischen Chor und Langhaus stellte er in den Bankreihen für die Gläubigen zwei über drei Meter hohe, handelsübliche Turbinenfilter und eine Nebelmaschine auf. Für zwei Stunden in Betrieb genommen, entstand durch Zufuhr von Stickstoff und elektrostatisch aufgeladenem Metallstaub bei gleichzeitiger Abkühlung ein um sich selbst zirkulierender Nebelring. Wenn der Mensch, an lebensverlängerten Techniken forscht und sich herausnimmt, die Zeit zu verstellen, ist ein technisch hergestellter Heiligenschein, der in der Antike ein Zeichen von Macht war, zwar eine absurde Vorstellung, aber eine durchaus passende Metapher für die menschliche Hybris unserer Zeit.
Indem Schrallhammer gesellschaftliche Symbole, wie die öffentliche Bahnhofsuhr, durch minimale Eingriffe unterwandert und christliche Traditionen auf neue Weise aktualisiert, gelingt es ihm − sozusagen durch die Hintertür − auf die Aktualität des Transzendenten im heute zu verweisen.
Kunstwissenschaftlicher Text 2006 Dr. Nicole Fritz
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On the pulse of the times
Installative works by Johann Schrallhammer
There are watch wearers and those who refuse to have the official time in the form of a wristwatch constantly with them on their own body. For the latter, church tower clocks and station clocks are often important landmarks in order to find out about the time. However, both watch wearers and watchless Lindauer were equally astonished when, in February 2006, the artist Johann Schrallhammer literally obscured their view of time.
In a temporary action, Johann Schrallhammer introduced a gas mixture through a small hole into a station clock by means of mobile high-pressure bottles and re-offstated the overpressure through a second one, so that the resulting smoke allows the passengers to get their usual view of the station clock, paralyzing the electronic organizer of our lives for two days.
With this sculptural intervention, Schrallhammer in a way reversed what began in the 14th century. At that time, public clocks were installed throughout Europe and replaced once and for all „the time of the Church“ with „the time of the merchants“ (Jacques LeGoff). With the invention of the railways in the 19th century, this uniformly binding „right“ time was distributed throughout the landscape. „The clock, not the steam engine, is the key to the modern, industrial world,“ wrote cultural scientist Lewis Mumford in the early 20th century. Since then, the man-made rational instrument has led to an acceleration of personal life („time is money“). By suspending the public station clock for a short time, Schrallhammer was thrown back to their own subjective sense of time, i.e. to their body and thus to their biorythmus, and were encouraged to return to a natural, self-determined and to perhaps also have „more fulfilling“ time.
The untitled Lindauer Action is not the only aesthetic ‚time critique‘ of the artist living in Garmisch-Patenkirchen. The autodidact, whose artistic work began in the 1990s with minimalist iron and wire objects, has expanded his approach into the conceptual in recent years. In an original way, his sculptural interventions and performances refer to the regional symbols and customs of the Catholic-influenced living environment of the artist and often play with it, as in the engineering of younger artists such as Michael Sailstorfer, Michael Beutler or Julius Popp, also scientific techniques and devices play a major role.
Another installation, which Schrallhammer realized in January 2006 in an early Gothic church in Garmisch-Patenkirchen, also seemed highly technical. Between the choir and the longhouse, he installed two turbine filters over three metres high and a fog machine in the rows of benches for the faithful. Put into operation for two hours, a self-circulating fog ring was created by the supply of nitrogen and electrostatically charged metal dust while cooling. When man, researching life-extending techniques and trying to distort time, a technically produced halo, which in antiquity was a sign of power, is an absurd idea, but a perfectly fitting metaphor for the human hubris of our time.
By infiltrating social symbols, such as the public station clock, through minimal interventions and updating Christian traditions in a new way, Schrallhammer succeeds – so to speak through the back door – on the topicality of the transcendent in today’s Refer.
Art Ics. 2006 Dr. Nicole Fritz